
Zwei KI-Tools stärken Innovationskraft im Unternehmen
Unternehmen stehen unter hohem Transformationsdruck. Zwei KI-Tools, die am KODIS entwickelt wurden, helfen ihnen, wirtschaftliche und technologische Trends zu erkennen und ein innovationsfreundliches Klima im Unternehmen zu schaffen.
Jan Mackensen fährt mit dem Zeigefinger über einen großen Monitor an der Wand. Das Bild auf dem Screen erinnert an eine Darstellung aus einem Schulatlas: Bunte Landmassen ragen aus einem weißen Meer, dazwischen tummeln sich unzählige kleine Archipele. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass die ganze Insellandschaft aus einzelnen Punkten besteht. Mal liegen sie lose nebeneinander, mal verwachsen sie zu großen Flächen. Dass es bei dieser Karte nicht um Geografie geht, verraten die Begriffe, die auf den großen »Inseln« stehen: »Security Challenges« auf einer, »Speech Recognition Technology« auf einer anderen.
»Was wir hier sehen, ist der Teil der Wissenschaftsdatenbank arXiv, der sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt«, erläutert Jan Mackensen. »Jeder Punkt steht für eine wissenschaftliche Veröffentlichung.« Mackensen ist Kognitionswissenschaftler und Teil des Teams Automated Service Interactions am KODIS. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen und in Kooperation mit dem Innovation Park Artificial Intelligence (IPAI) hat er einen Web-Crawler entwickelt, der Datenbanken – oder gleich das ganze Internet – systematisch durchforsten kann.
»SPIDERWISE« nennt sich das Tool – und tatsächlich agiert es »clever wie eine Spinne« im Netz: Anders als die meisten Suchmaschinen stellt es seine Ergebnisse nämlich nicht einfach als Linkliste dar. Stattdessen rechnet es mithilfe von KI-Algorithmen zunächst Themen aus den großen Datenmengen heraus und erstellt anschließend »Landkarten«, die aufzeigen, wie bestimmte Begriffe im Netz miteinander verknüpft sind, welche Themen und Unterthemen wie miteinander in Beziehung stehen. Man könnte auch sagen: Das Programm kartografiert das Netz.
»Das ist möglich, weil unser Algorithmus das sogenannte fokussierte Web-Crawling beherrscht«, sagt Dr. Richard Zowalla, wissenschaftlicher Mitarbeiter am KODIS. Das heißt: SPIDERWISE beginnt seine Suche zum Beispiel auf einer Reihe von bewusst gewählten Websites, den sogenannten Seed-Punkten. Von diesen ausgehend hangelt es sich von einer Website zur nächsten. Auf diese Weise deckt SPIDERWISE das komplexe Beziehungsgeflecht vieler Millionen Websites, die sich mit einem Thema und seinen Unterthemen befassen, auf.
»Es geht uns nicht darum, alle Websites zu durchsuchen«, sagt Zowalla. Vielmehr decke das Tool die wechselseitigen Verweise relevanter Seiten auf und bilde so einen Diskurs ab. Interessant ist also nicht die schiere Masse an Punkten auf der Karte, sondern die Frage, wie diese sich zu thematischen Blöcken formieren, wie sie zueinander in Beziehung stehen.
Nehmen wir mal den Inselstaat auf Mackensens Monitor: Hier lautete der Suchbegriff »Künstliche Intelligenz«. Mit diesem Auftrag im Gepäck arbeitete sich das Programm also in der Wissenschaftsdatenbank vor – und identifizierte dabei auch zahlreiche Subthemen. Zehn davon, »Vehicle Navigation« etwa, oder »Image Segmentation Techniques«, sind jetzt auf Mackensens Monitor zu erkennen. Zoomt man allerdings wie bei einer Onlinekarte in die Darstellung hinein, werden zahlreiche weitere Unterbegriffe – oder: Inselgruppen – sichtbar. Indem es diese Cluster und deren Beziehungen zueinander sichtbar macht, dringt SPIDERWISE gewissermaßen in die Tiefenstruktur eines Themas vor. Und doch ist die Themenlandkarte nur der erste Schritt. Der eigentliche Mehrwert von SPIDERWISE besteht in seiner Fähigkeit, Trends zu identifizieren. »Indem wir dieselbe Suche in zeitlichen Abständen immer wieder durchführen, können wir aufzeigen, wie sich bestimmte Themen entwickeln«, sagt Zowalla. Mit anderen Worten: SPIDERWISE zeigt, wie die Landkarte sich verändert.
»Unternehmen, die sich für bestimmte Entwicklungen auf dem Markt oder im Bereich Forschung und Entwicklung interessieren, können von diesem Tool enorm profitieren«, sagt Jan Mackensen. Das gelte insbesondere für Themen, die nicht schon von den großen Trendstudien beleuchtet würden. »SPIDERWISE kann hochwertige Trendanalysen liefern, noch bevor die großen Beratungsfirmen sich eines Themas angenommen haben.«
Ein weiteres GenAI-Projekt, das KODIS in Kooperation mit der Firma Schindler umgesetzt hat, beschäftigt sich ebenfalls mit der Frage, wie man die Innovationskraft von Unternehmen mithilfe von KI stärken kann. Sein Name, »aideation«, ist ein Kunstwort aus den Bestandteilen »AI«, »Idea« und »Creation« und verrät in etwa, worum es geht: Ideen mithilfe von KI zu reflektieren – als Basis für die weitere Ausarbeitung. Der Gedanke dahinter: Wo Ideen formuliert und optimiert werden, wird kreatives Potenzial lebendig.
Im Grunde funktioniert aideation wie ein Sparringspartner, ein Gegenüber, mit dessen Hilfe man die eigenen Ideen prüfen und reflektieren kann. Anders als die frei zugänglichen Tools aber, die auf der Basis von großen Sprachmodellen funktionieren, verfügt aideation über Insights. »In einem ersten Schritt wird das Programm mit umfangreichen Materialien aus dem Unternehmen geschult«, erläutert Alexander Noack, Wissenschaftler am KODIS.
Im Zuge dieser Schulung entwickeln die Forschenden verschiedene Rollen, die das Tool später im Dialog übernehmen kann. Da sind zum Beispiel der virtuelle Geschäftsführer, der virtuelle Nachhaltigkeitsbeauftrage oder der virtuelle HR-Manager, alle jeweils mit exklusivem Expertenwissen ausgestattet und somit in der Lage, aus ihrer jeweiligen Perspektive auf Fragen zu reagieren. Zudem können Nutzerinnen und Nutzer zwischen drei Persönlichkeitsmerkmalen wählen, die sie den Rollen, die aideation übernimmt, zuschreiben. Da ist zum einen »der Kritiker«, der stets die Risiken im Blick hat und skeptisch auf Neuerungen schaut. Dann »der Träumer«, ein Optimist, für den Chancen schwerer wiegen als Risiken. Und schließlich »der Realist«, der den Ausgleich zwischen den beiden anderen Positionen sucht. Die drei Charaktere haben die Forschenden von der sogenannten Walt-Disney-Methode übernommen, einer Kreativitätstechnik, mit der der berühmte Comiczeichner gearbeitet haben soll. »Um die Qualität einer Idee gut einschätzen zu können, braucht es verschiedene Perspektiven und Kompetenzen«, sagt Alexander Noack. Und genau dabei helfe aideation: Das Tool liefere eine fundierte Grundlage, auf der Ideen bewertet und gegebenenfalls weiterentwickelt werden können.
Dr. Pau-y Chow, Lead Smart Buildings & Smart Cities/ Strategic Partnerships bei Schindler Deutschland
Indem aideation auch Personen ohne spezielle Kenntnisse in die Lage versetzt, Ideen schnell und einfach aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, kann es Mitarbeitende ermutigen, eigene Ideen zu prüfen – und trägt so zu einem innovationsfreundlichen Klima bei. Und das wird dringend benötigt, denn der Innovationsdruck in Unternehmen steigt. Als zentrale Treiber tiefgreifender Transformationsprozesse gelten die sogenannten fünf »Ds«, also Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung, Diversifizierung und Disruptive Innovationen. Möglich wird Transformation aber nur, wenn die Belegschaft mitzieht. An dieser Stelle kommt aideation ins Spiel: Indem das Tool Mitarbeitenden auf allen Ebenen ermöglicht, Ideen kritisch zu reflektieren, ebnet es auchohne Expertise den Weg in konstruktive Gestaltungsprozesse. Von einem ersten Feedback über die Optimierung einer Idee bis zu ihrer Realisierung: Indem aideation Mitarbeitenden stets als »Ansprechpartner« zur Verfügung steht, kann es die Ideenfindung im Unternehmen deutlich beschleunigen.