»Es geht darum, Lösungen zu entwickeln, von denen alle profitieren«

© Martin Albermann

Wie lässt sich ein Campus intelligenter und komfortabler gestalten? Dieser Frage geht Veronika Prochazka im Rahmen der »Smart Campus Initiative« nach. Im Interview erläutert sie, welche Rolle dabei Daten, Sensorik und digitale Dienstleistungen spielen.

Frau Prochazka, zu Beginn der »Smart Campus Initiative« haben Sie gemeinsam mit Studierenden und Forschenden eine Vision für einen innovativen Bildungscampus entwickelt. Wie sieht dieser Campus der Zukunft aus?

Wir haben konkret sechs Themenfelder festgelegt, in deren Rahmen wir den smarten Campus definieren: Mobilität, Funktionalität und Komfort, Leben und Gesundheit, Kultur und Identität, Wirtschaftlichkeit und Wachstum sowie Ressourcenmanagement und Klimaschutz. Innerhalb dieser Bereiche haben wir uns überlegt, was den Campus von morgen ausmacht. Um das am Beispiel Mobilität zu verdeutlichen: Wir wollen Mobilität ganzheitlich denken, es soll möglich sein, unkompliziert vom E-Scooter oder dem Sharing-Bike auf Bus und Bahn umzusteigen. Der motorisierte Individualverkehr soll zwar auch noch seinen Platz haben, aber nicht mehr das einzige Mittel sein, um von A nach B zu kommen. So haben wir für jedes Feld konkrete Ziele festgelegt. Im Großen wollen wir das Leben, Lernen und Arbeiten auf dem Campus maximal angenehm machen und dies mit dem Ziel eines klimaneutralen Campus vereinen.

Wo stehen Sie fünf Jahre nach Projektbeginn 2018?

In den ersten beiden Jahren ging es vor allem darum, gemeinsam Daten zu erheben und Sensorik zu entwickeln. Die konnte man damals noch nicht einfach im Baumarkt kaufen. Als wir dann im Mai 2019 das Forschungs- und Innovationszentrum KODIS gründeten, fragten wir uns, wie wir die Daten nutzen können, um den digitalen, innovativen, nachhaltigen, lebenswerten Campus der Zukunft zu entwickeln. Da sind wir einen großen Schritt vorangekommen. Wir haben viele Erfahrungen im gemeinschaftlichen Entwickeln und Testen von datenbasierten Services gewonnen und einige Pilotprojekte umgesetzt. Die wollen wir jetzt professionalisieren und verstetigen.

Welche Pilotprojekte sind das?

Eines unserer ersten größeren Projekte war eine AR-basierte App zur Indoor- und Outdoor-Navigation auf dem Campus. Gerade Neuankömmlingen oder Gästen fällt es oft schwer, sich hier zu orientieren, das hatte eine Befragung der Hochschule Heilbronn gezeigt. Viele der Gebäude sehen außen und vor allem innen ähnlich aus. Also wollten wir eine App entwickeln, die einen mit der Handy-Kamera über den Campus navigiert. Ohne GPS, ohne QR-Codes, die man einscannt, sondern mit einem digitalen Modell, das auf Augmented Reality basiert. Ein weiteres Projekt ist der Campus-Roboter »Temi«. Mit ihm wollen wir es Menschen mit Handicap erleichtern, sich auf dem Campus zurecht zu finden. Diesen Service-Roboter, der einen durch die Gegend führt, gibt es marktreif zu kaufen. Unser Ziel ist es, ihn gemeinsam mit Studierenden der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) anzupassen auf die Bedarfe von sehbehinderten oder gehörlosen Menschen sowie von Menschen mit einem Tremor.

Sie arbeiten dabei mit dem ko-kreativen Ansatz. Welche Vorteile bietet dieser?

Wir erhoffen uns, indem wir unterschiedliche Akteure frühzeitig zusammenbringen, die Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu verstehen und dadurch bessere Lösungen zu entwickeln. Diese sollen in Prototypen münden und am besten skalierbar sein.

© Aristidis Schnelzer

Der Innovationsprozess ist bei diesem Ansatz in drei Phasen eingeteilt. Lassen Sie uns diese an einem konkreten Beispiel durchgehen.

Nehmen wir die LIV als Beispiel, die Campus-Bibliothek. Diese teilen sich unter anderem die Studierenden der TU München, der DHBW und der Hochschule Heilbronn. Das Problem ist, dass es bislang keine Möglichkeiten gibt, die derzeit freien Arbeitsplätze auf einen Blick einzusehen. Im Zweifel müssen die Studierenden durch alle fünf Stockwerke laufen und ewig suchen, das kann ziemlich nervig sein. Unsere Idee war es, die Echtzeit-Auslastung zu erfassen und digital anzuzeigen. Dies ist der erste Schritt im ko-kreativen Ansatz:  das Problem identifizieren und eine mögliche Lösung vorschlagen. Dieser Schritt nennt sich »Ko-Exploration«. Schritt zwei ist die »Ko-Innovation«. Hier analysieren wir die Herausforderung, entwickeln dann ein Service-Konzept sowie Prototypen und testen diese unter Realbedingungen. In der Bibliothek versuchten wir, die aktuelle Arbeitsplatzbelegung mit Hilfe von Sensorik an den Tischen zu erkennen und Regeln zu definieren, wann ein freier Arbeitsplatz tatsächlich frei ist oder sich die nutzende Person womöglich nur in der Mittagspause befindet. Zum Schluss folgt die »Ko-Evaluation«. Hier bewerten wir das Projekt und überlegen, wie wir es für den operativen Betrieb weiter entwickeln können. Unsere Belegungserkennung hat gut funktioniert und soll umgesetzt werden. Weil das aber viele Kapazitäten – auch der LIV – in Anspruch nehmen wird, müssen wir den richtigen Zeitpunkt abwarten.

© Aristidis Schnelzer

Dieses System lässt sich bestimmt auch auf Kommunen oder Firmen übertragen, oder?

Das ist der Anspruch, den wir haben. Wir begreifen den Bildungscampus als Reallabor, wie ein Stadtquartier, in dem wir uns ausprobieren dürfen. Wir haben beispielsweise einen Prognose-Service für die Auslastung der Parkhäuser auf dem Campus entwickelt. Das ließe sich eins zu eins auf jedes andere Parkhaus übertragen. Ein solches Projekt ist sogar schon in Arbeit.

Und welche Projekte stehen als nächstes an?

Wir entwickeln gerade gemeinsam mit der Hochschule Heilbronn Konzepte, wie wir den CO2-Fußabdruck der Studierenden auf dem Bildungscampus erfassen können. In Zukunft soll man sich auf der Bildungscampus-App seinen persönlichen CO2-Fußabdruck anzeigen lassen können. Zudem sollen spielerische Anreize geschaffen werden, den Fußabdruck möglichst zu reduzieren und klein zu halten.

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Zu den Projekten der Smart Campus Initiative

Ko-kreativer Ansatz in der Serviceentwicklung