
Ein Heilbroner Winzer testet KI-Tools, um seine Erträge zu optimieren
Klimakrise, Preisdruck und Lohnkosten fordern den Weinbau heraus. Können Sensoren, Daten und Künstliche Intelligenz den Winzerinnen und Winzern bei ihrer Arbeit helfen? Das testen Forschende des Fraunhofer IAO mit mehreren Partnern auf einem Weinberg bei Heilbronn. Ein Besuch in den Reben.
Christoph Haberkern steigt den steilen Hang des Kaybergs hinauf, wo schon sein Urgroßvater die ersten Reben pflanzte. Unter seinen Arbeitsschuhen staubt die graue, krümelige Erde. Der 36-jährige Winzer streicht mit den Händen über die Zweige, die er vor wenigen Wochen geschnitten hat. Noch ruhen sie karg in der Frühlingssonne und warten darauf, bald die ersten Blätter und dann die blassen, grüngelben Beeren der Rieslingtrauben zu tragen.
Auf 40 Ar Fläche mit Blick über den Weinort Erlenbach, nur wenige Autominuten von Heilbronn entfernt, baut Christoph Haberkern einen Teil der Früchte an, aus denen er im eigenen Weingut seine Weine produziert: stählernen Riesling, fruchtigen Grauburgunder, pfeffrigen Merlot. Sein Jahr folgt stets dem gleichen Rhythmus: schneiden, biegen, brechen, lesen, pressen, gären. Aus Blüten werden Trauben, aus Trauben wird Wein. Eine jahrtausendealte Tradition.
Doch als Christoph Haberkern mitten in seinem Weinberg vor einem Stützpfeiler stehen bleibt und auf die Kabel blickt, die dort im Boden verschwinden, sagt er: »Was wir hier machen, ist für mich und die ganze Branche absolutes Neuland.« An einer hüfthohen Metallschiene sind fünf Low-Power-Sensoren angeschraubt, kleine schwarze Kästchen mit Antennen, die wie Walkie-Talkies aussehen.
Kabel führen durch ein Plastikrohr in den Boden und verbinden die Sensoren mit Fühlern, die ins Erdreich ragen. In unterschiedlichen Tiefen messen die Sonden verschiedene Werte. Die Bodennährstoffe zum Beispiel, wie Stickstoff, Phosphor und Kalium, auch den pH-Wert oder die Feuchtigkeit. In jeder vierten Rebzeile steht so eine Apparatur. 160 Sensoren vermessen den Weinberg und sollen Christoph Haberkern im Rahmen des Projekts »wAInbau 4.0« bei seiner Arbeit unterstützen.
Der Weinbau in den 13 deutschen Anbaugebieten steckt in einer seiner größten Krisen. Ein Mix aus verschiedenen Faktoren erschüttert die Branche. Der Klimawandel führt zu mehr Trockenperioden und damit zu Wasserstress im Weinberg und zu mehr Starkregen, der Pilzbefall begünstigt. Zusammen mit steigenden Mindestlöhnen und immer strengeren Düngevorschriften führt dies zu höheren Arbeitskosten. Gleichzeitig ist der Preisdruck in der Vermarktung extrem hoch, weil der Absatz sinkt und zu viel Wein produziert wird.
Können digitale und KI-basierte Servicelösungen hier für mehr Effizienz und Entlastung sorgen? Das soll das Projekt »wAInbau 4.0« zeigen. Beteiligt sind neben dem Winzer Christoph Haberkern, auf dessen Flächen die Sensoren getestet werden, das Forschungs- und Innovationszentrum KODIS des Fraunhofer IAO, die Hochschule Heilbronn, die DHBW Heilbronn, die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg sowie der IT-Dienstleister Schwarz IT, der für technische Umsetzung und Dateninfrastruktur verantwortlich ist.
Gemeinsam haben die Forschungspartner innerhalb eines Jahres in fünf Schritten Analysen und Konzepte entwickelt und setzen das Pilotprojekt im Weinberg um. Die Schwarz IT kümmert sich dabei um die technische Umsetzung und Bereitstellung der Dateninfrastruktur. Am Ende soll ein Leitfaden für den KI-gestützten Weinbau in Baden-Württemberg stehen – um darauf aufbauend in Zukunft noch tiefer, konkreter und umfassender zu forschen. Die Vermessung des Weinbergs von Christoph Haberkern mit KI, Daten und Sensoren soll der Auftakt sein und zeigen, was möglich ist.
Die Idee zu dem Projekt hatten Bastian Tiefenbach, Bereichs-leiter Campus IT, und Christian Harms, Technical Lead Smart Districts, beide bei Schwarz IT. Harms wohnt in Erlenbach, schaut von seinem Wohnzimmer aus auf den Kayberg und hat sich mit der Zeit überlegt, ob er sich nicht auch im Weinbau betätigen sollte. »Ich wollte einfach mal wieder etwas mit den Händen machen«, sagt er. Und so fragte seinen Bekannten, den Winzer Christoph Haberkern, wie er ihm helfen könne. Der bot ihm prompt an, sich ein Jahr lang an ein paar Rebzeilen zu versuchen. Doch Harms wollte nicht einfach so anfangen. Seine Idee: Mit Sensoren den Weinberg so präzise vermessen, dass die Arbeit des Winzers einfacher und effizienter wird – und der Wein noch besser.
Harms probierte einiges aus, musste aber schnell feststellen, dass er allein nicht vorankam. Er brauchte einen Partner – und präsentierte seine Idee wenig später den Forschenden am KODIS: »Ich wusste, dass man sich dort mit Sensorik und Datenanalyse auskennt«, so Harms.
Kristian Schaefer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IAO
Sein Vorschlag fiel auf fruchtbaren Boden: »Ich wurde sofort hellhörig, als ich die Idee zum ersten Mal hörte«, sagt Kristian Schaefer, der sich seit fünf Jahren am KODIS mit digitalen und KI-basierten Dienstleistungen beschäftigt, bis dain allerdings eher im urbanen oder industriellen Kontext. »Mich hat es total gereizt, mit Umweltsensorik in etwas raueren Umgebungen zu arbeiten«, sagt Schaefer. Im Weinberg gibt es keinen Strom, dafür aber Scheren, Fräsen und Regenschauer.
Da braucht es schon etwas mehr Hirnschmalz, um zuverlässige Daten zu sammeln, als zum Beispiel in einer Einkaufsstraße, wo der Sensor einfach an einem Laternenpfahl befestigt wird. Eine schöne Herausforderung, fand Schaefer. Gemeinsam mit drei Projektpartnern, der Hochschule Heilbronn, der DHBW Heilbronn sowie der staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg, startete man das Projekt »wAInbau 4.0«.
»Traditionell arbeite ich eher mit Erfahrungswissen und Bauchgefühl als mit konkreten Daten«, sagt Winzer Christoph Haberkern. Das Bauchgefühl will er auch künftig nicht ignorieren, aber gerade beim Spritzen und Düngen sieht er großes Potenzial für digitale Tools. »Da geht es um ganz konkrete Kosten, die ich einsparen könnte, und da werden wir Kleinbetriebe immer hellhörig«, sagt er. Natürlich profitieren auch Pflanzen und Insekten davon, wenn weniger Pestizide ausgebracht werden. Haberkerns Hoffnung an die Sensoren und KI lautet: vitalere Reben, bessere Qualität.
»Traditionell arbeite ich eher mit Erfahrungswissen und Bauchgefühl als mit konkreten Daten«, sagt Winzer Christoph Haberkern. Das Bauchgefühl will er auch künftig nicht ignorieren, aber gerade beim Spritzen und Düngen sieht er großes Potenzial für digitale Tools. »Da geht es um ganz konkrete Kosten, die ich einsparen könnte, und da werden wir Kleinbetriebe immer hellhörig«, sagt er. Natürlich profitieren auch Pflanzen und Insekten davon, wenn weniger Pestizide ausgebracht werden. Haberkerns Hoffnung an die Sensoren und KI lautet: vitalere Reben, bessere Qualität.
Von der Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg heißt es, Künstliche Intelligenz und Sensoren kämen im Weinbau noch kaum bis gar nicht zum Einsatz. Direktor Dr. Dieter Blankenhorn könnte sich das allerdings in verschiedenen Bereichen vorstellen. Im Weinberg könnten die Sensoren für mehr Wissen über den Zustand des Bodens sorgen und so die Traubenerzeugung perfektionieren und die Ressourcen schonen. Im Keller könnte die KI die alkoholische Gärung beobachten und den Energie- und Kälteeinsatz optimieren. Und im Vertrieb könnte sie dabei helfen, bessere Weinempfehlungen abzugeben und den Verkauf anzukurbeln. »Derzeit sehen wir aber vor allem in der Bodenkunde das größte Potenzial«, sagt Blankenhorn.
Seine Kolleginnen und Kollegen haben deshalb als Teil des Projekts den Weinberg von Christoph Haberkern in vier Flächen ein-geteilt. Mithilfe der Sensoren wollen sie beobachten, wie sich unterschiedliche Bewirtschaftungsformen auf den Nährstoffgehalt oder die Feuchtigkeit des Bodens auswirken. Also zum Beispiel, wie schädlich die konventionelle Arbeit mit synthetischen Düngern und Pestiziden tatsächlich für den Boden ist. Hierzu gebe es noch kaum verlässliche Daten, so Blankenhorn.
Kristian Schaefer zückt im Weinberg sein Smartphone. Zwei Grafiken sind darauf zu sehen: die Feuchtigkeit und der Nährstoffgehalt des Bodens. Die Daten der Sensoren laufen in einer zentralen Plattform zusammen und werden mithilfe von KI-Modellen ausgewertet. Ein Dashboard soll dem Winzer zeigen, wie sich der Zustand verändert. »Perspektivisch wollen wir so Empfehlungen generieren, zum Beispiel wann der perfekte Zeitpunkt zum Düngen ist«, sagt Schaefer.
Das KODIS konzentriert sich im Projekt auf Interviews mit Winzerinnen und Winzern, um die Anforderungen der Praxis an einen KI-basierten Service zu identifizieren. Außerdem kümmern sich die Forschenden um die Datenanalyse und die Entwicklung des Dashboards. Später wollen sie daraus digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Erst im Boden, dann im Keller und schließlich im Marketing: Von der Rebe bis ins Glas. »In der Vergangenheit konnten die Winzer sich auf ihr Bauchgefühl verlassen«, sagt Schaefer. »Wenn das Klima sich aber in hohem Tempo verändert, könnten alte Gewissheiten obsolet werden. An dieser Stelle wollen wir dem Weinbau mit wissenschaftlichen Methoden einen Weg in die Zukunft weisen.«
Zurück im Weingut holt Christoph Haberkern eine Flasche Riesling aus dem Kühlschrank und schenkt einen Schluck ein. Er schmeckt klar und fruchtig. Haberkern wünscht sich, dass das Projekt noch einige Jahre weiterläuft. Denn bis man aus den Daten wirklich verlässliche Schlüsse ziehen kann, dauert es. »Der Boden ist eine träge Masse«, sagt er. Aber vielleicht, so wünscht er sich, kann man irgendwann sogar einen feinen Unterschied im Glas schmecken. Dank der Daten der Sensoren, die seinen Weinberg vermessen.