Der Herr der Dinge

Wie ein Elektrofachhandel sich für die Zukunft rüstet

© Martin Albermann

Das legendäre Heilbronner Elektronik-Fachgeschäft Krauss hat eine lange Tradition. Doch durch die Konkurrenz im Internet und hohe Kosten steigt der Druck. Mit der Unterstützung des Urban Innovation Hub (uih!) und des KODIS versucht der Inhaber jetzt, neue Wege zu gehen.

Bei »Krauss Elektronik« findet man auch die Dinge, von denen man nicht wusste, dass man sie sucht. Morgens um 9:30 Uhr öffnet Inhaber Martin Krauss die Türen. »Das hier ist zum Beispiel was ganz Tolles«, sagt er und löst, mit großem Kraftaufwand, eine Packung extrastarker Magnete aus dem Regal. »Zum Aufhängen und Befestigen – oder für Zaubertricks.« Die Magnete sind eine Neuheit im liebevoll kuratierten Sortiment seines Ladens in der Heilbronner Innenstadt. »Ich suche immer nach Artikeln, die man woanders so noch nicht bekommt«, sagt er. Krauss geht mit der Zeit. Das so zu tun, dass es sich auch lohnt, wird für ihn aber immer schwerer.

Einen Laden wie Krauss Elektronik findet man heute kaum noch. Martin Krauss, 59, ist Inhaber in der dritten Generation. Wer hierher kommt, wird von kundigem Personal beraten, das teils schon Jahrzehnte im Betrieb arbeitet und auch nach Feierabend noch gerne Zeit miteinander verbringt. Das Angebot umfasst 10 000 Artikel, von der Glühbirne über Sicherungen bis zur HiFi-Anlage fürs Auto. Damit steht der Fachhandel in Konkurrenz zu Großmärkten und Onlineplattformen. Krauss Elektronik ist eine Institution in Heilbronn, ein Paradies für Handwerksleute, Heimwerkende und Bastel-Begeisterte. Doch der Druck steigt: »Die Betriebskosten sind in den letzten Jahren explodiert«, sagt Martin Krauss. Auch im Jahr 2024 habe sein Unternehmen Verlust gemacht. Die Zukunft: ungewiss. Krauss blickt auf 100 Jahre Tradition zurück. Der Wandel war dabei eine Konstante: Sein Großvater eröffnete den Laden 1925 als »Radio Krauss«, verkaufte Radios und stellte damals noch rare Steckdosen zum Aufladen von Akkus zur Verfügung. Sein Vater übernahm das zwischenzeitlich im Krieg zerbombte und an heutiger Stelle wiedereröffnete Geschäft in den Fünfzigern, spezialisierte sich auf Fernsehgeräte und bot Kundendienst an. Später schwenkte er auf ein breites Sortiment von Elektronikwaren um. Seit 1996 führt Martin Krauss die Geschäfte. Er baute einen Versand- und Internethandel auf und stellte auf Messen in China direkte Kontakte zu Produzenten her, womit er sich den kostspieligen Umweg über europäische Großhändler sparte. Sein Vater stand noch mit im Geschäft, bis er fast 90 Jahre alt war. »Das hier war sein Lieblingsort«, erinnert sich Krauss, sichtlich gerührt. »Und auch mein Herz hängt an diesem Laden.«

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Portrait von Martin Krauss, Geschäftsführer von Elektro Krauss, in seinem Elektrowarengeschäft in Heilbronn.
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Martin Krauss, Geschäftsführer von Elektro Krauss, recherchiert mit einem Kunden nach dem passenden Ersatzteil.

Workshops, die Mut machen

Neuen unternehmerischen Mut fasste Krauss durch eine Initiative des Urban Innovation Hub (uih!), das 2023 in der Fußgängerzone eröffnet hat und mit innovativen Konzepten zur Weiterentwicklung der Heilbronner Innenstadt beitragen möchte. »Ich bekam die Gelegenheit, an einem dreitägigen Workshop zur Optimierung von Geschäftsmodellen teilzunehmen«, sagt Krauss. In den Workshops erkannte Martin Krauss Grundsätzliches: Dass nämlich der einzigartige Nutzen seines Ladens für die Kundschaft weniger in der Verfügbarkeit der Produkte liegt, an denen er oft nur wenige Cent verdient, als vielmehr im Service, der ganz nebenbei passiert. Dass also gerade das, was ihn von der Konkurrenz abhebt, oft unbezahlt bleibt. »Es war großartig, dass sich jemand meinen Betrieb angeschaut und mit mir erarbeitet hat, was ich besser machen könnte«, sagt Martin Krauss.

Nathalie Alischer vom uih! hat die Workshops, die in Kooperation mit der Universität Siegen und dem Kompetenzzentrum Smart Services durchgeführt wurden, begleitet. Sie weiß, dass die Offenheit, mit der Martin Krauss in den Austausch ging, nicht selbstverständlich ist. »Der Einzelhandel hat eine lange Tradition. Und viele haben im Alltagsstress nicht die Kapazitäten, über Veränderung nachzudenken«, sagt sie. Doch das uih!, das vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO betrieben wird, hat für Gewerbetreibende eine optimistische Botschaft. Alischer fasst sie so zusammen: »Sie können etwas dafür tun, dass ihr Angebot besser wahrgenommen und gerne genutzt wird.« Wie genau – das können Teilnehmende individuell in Workshops herausfinden. Alischer beschreibt das Aufeinandertreffen von Forschenden und Gewerbetreibenden als Synergie mit gegenseitigem Lerneffekt: »Die Forschung kennt die Möglichkeiten. Der Handel weiß, was funktioniert.« Zunächst geht es mitunter um die ganz kleinen Schritte.

»Die Forschung kennt die Möglichkeiten. Der Handel weiß, was funktioniert.«

 

Nathalie Alischer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am KODIS des Fraunhofer IAO

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Nathalie Alischer hat die Geschäftsmodell-Workshops am uih! in Heilbronn begleitet.

Martin Krauss hat eine Reihe von Ideen mitgenommen, die er langfristig umsetzen will. Die größte Veränderung lässt sich für Interessierte im Stockwerk über den Geschäftsräumen besichtigen. Auf dem Balkon stehen Solaranlagen – Balkonkraftwerke – in verschiedenen Varianten. Damit ist Krauss der Konkurrenz voraus. Die Anlagen sind gefragt, da Energiekosten gestiegen sind, während die Solartechnologie immer effizienter wird. Schon nach drei bis vier Jahren hat sich die Investition amortisiert. Und bei Krauss  Elektronik kann man die Anlagen nicht nur ordern, sondern auch anfassen und Inspiration zu verschiedenen Arten der Aufhängung sammeln. »Die Idee trug ich schon lange mit mir herum«, sagt Martin Krauss. »Die Workshops gaben mir den entscheidenden Impuls – und die Idee zur Umsetzung mit eigenem Webshop.«

Ein Anfang ist gemacht

Schwer tut er sich noch damit, Social-Media-Kanäle zu pflegen – neben dem Arbeitsalltag, in dem er oft bis spät abends noch Mails und Aufträge bearbeitet. Immerhin hat er schon eine WhatsApp-Gruppe mit gut tausend Nummern, über die er mit Kundinnen und Kunden in Kontakt bleibt und sie über Aktionen informieren kann. Das ist immerhin ein Anfang, auf den nächste Schritte in Richtung Social Media folgen können. Aber auch das hat Krauss aus den Workshops mitgenommen: Es muss nicht immer gleich alles auf einmal funktionieren. Ein nächster erreichbarer Schritt ist eine Liste mit Pauschalpreisen für die vermeintlich kleinen Serviceleistungen, die seine Kundschaft so sehr schätzt: die Reinigung der Fernbedienung bei ausgelaufener Batterie, das Anlöten gerissener Kopfhörerkabel oder der Batteriewechsel am Autoschlüssel, der in der Werkstatt schon mal 30 Euro kostet – und der sich bei Krauss Elektronik mit 9 Euro immer noch lohnt. Der Krauss-Slogan lautet schließlich auch: »Im Kleinen ganz groß«. Ein Besuch im Laden unterstreicht diese Botschaft praktisch sofort.

Mitarbeiter Ralf Hörner – selbst bekennender Hobbybastler – ist seit 30 Jahren Teil von Krauss Elektronik. »Wir beraten den Kunden zu einer kleinen Batterie genauso gerne wie zu einer großen Solaranlage«, sagt er. Hörner hält schon die Brotdose in der Hand und will sich gerade in seine Mittagspause verabschieden, als ein Kunde in den Laden kommt. Der hält – Alltag bei Krauss – etwas in der Hand, das nicht mehr funktioniert. »Das ist das Thermostat meiner Heizung«, sagt der Kunde. »Das Display ist kaputt und jetzt kann ich die Temperatur in meinem Haus nicht mehr regulieren.« Als er Mitarbeiter Hörner mit Blick auf die Brotdose fragt, ob er gerade Mittagspause habe, schmunzelt der und sagt: »Jetzt nicht mehr.« Ein Blick ins Innere des Gehäuses und die Diagnose ist rasch gestellt: »Ich müsste kurz was löten«, konstatiert Ralf Hörner und verschwindet ins obere Stockwerk. Weil die Liste mit den Pauschalpreisen noch nicht offiziell in Kraft getreten ist, wird dieser Rettungseinsatz für die heimische Heizung den Kunden am Ende nur ein paar Euro kosten.

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Ralf Hörner, Mitarbeiter bei Elektro Krauss, auf dem Weg in seine späte Mittagspause.
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Eine Mitarbeiterin bei Elektro Krauss an der Kasse.
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Bastlermekka: Bei Krauss Elektronik in der Heilbronner Innenstadt findet man alles von der Knopfbatterie bis zum Balkonkraftwerk. Die wichtigste Ware aber findet sich nicht in den Regalen: Es sind die Tipps und Tricks, die Martin Krauss und sein Team auf Lager haben.

Vom Wert der Serviceleistung

Doch im Veränderungsprozess bei Krauss Elektronik wird es um mehr als eine angemessene Berechnung von Serviceleistungen gehen. Das weiß Dr. Bernd Bienzeisler, Leiter des Forschungs- und Innovationszentrums Kognitive Dienstleistungssysteme KODIS am Fraunhofer IAO. Er begleitet die Zusammenarbeit von uih! und den Heilbronner Gewerbetreibenden wissenschaftlich. »Der Einzelhandel muss der Kundschaft die angebotene Serviceleistung erfahrbar machen«, sagt Bienzeisler. Wirtschaft und Wertschöpfungsketten seien im Umbruch. «Das Produkt ist oft nur noch die Plattform für dazugehörige Dienstleistungen.« Runtergebrochen auf die Ebene des Einzelhandels heißt das: Bei Krauss Elektronik wird eigentlich nicht die einzelne Sicherung oder das Ersatzkabel verkauft, sondern das gesamte Erlebnis des Einkaufens oder der Reparatur. Ähnlich wie im Restaurant, wo es eben nicht nur auf das Essen, sondern ebenso auf den Service ankommt. Und gerade das sei das große Potenzial des Einzelhandels, sagt Bienzeisler. Denn: »Je virtueller die Welt, desto größer das Bedürfnis nach einer authentischen Erfahrung.«

Damit die Dienstleistung richtig in Szene gesetzt und von Kundinnen und Kunden folglich erlebt werden kann, sollten Mitarbeitende zur Reparatur nicht in die Hinterräume verschwinden. Martin Krauss hat nach den Workshops deshalb – zwischen den Kabelregalen und der Weihnachtsbeleuchtung – mit dem Bau eines Servicepoints begonnen. An der Theke sollen sich Batteriewechsel, kleinere Lötarbeiten und Fehlerdiagnosen künftig vor den Augen der Kundschaft abspielen. »Wir wollen unsere Arbeit sichtbar machen und dabei doch nicht zu viel preisgeben«, sagt Krauss. Für die Ausführung der mehr oder weniger geheimen Kniffe gibt es dann noch eine etwas höhere Trennwand. »Die Leute sollen ja auch wiederkommen«, sagt Krauss und lacht.

Damit sie dafür noch einen Grund mehr haben, hat Krauss in China gerade 2000 Glühbirnen anlässlich seines 100-jährigen Firmenjubiläums geordert. Die will er mit einem von seiner Tochter designten Logo bedrucken lassen und für einen symbolischen Betrag verkaufen. Auch diese Idee kam ihm in den Workshops beim uih! – als Maßnahme der Kundenbindung. Schließlich soll es nicht das letzte große Jubiläum gewesen sein.

»Je virtueller die Welt, desto größer das Bedürfnis nach einer authentischen Erfahrung.«

 

Dr. Bernd Bienzeisler, Leiter des KODIS am Fraunhofer IAO

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Dr. Bernd Bienzeisler begleitet die Zusammenarbeit von uih! und den Heilbronner Gewerbetreibenden wissenschaftlich.
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Licht ins Dunkel: Bevor man bei Elektro Krauss Elektronik ein Leuchtmittel kauft, kann man dessen Eigenschaften an diesem Tresen begutachten.

uih!

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